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Budapest, Hungary - Aug 23, 2017. Aerial shot of the city, the castle, and the Chain Bridge Chain Bridge in sunset - Budapest | © GettyImages/Zsolt Hlinka

Special | Ungarn | Wege aus der Coronakrise

Konjunktur zieht wieder kräftig an

Ungarns Wirtschaft scheint die coronabedingte Rezession überwunden zu haben. Die Regierung setzt ihre Investitionsprogramme zur Modernisierung der Unternehmen fort.​

  • Konjunktur und wichtigste Branchen

    Ungarns Wirtschaft hat 2020 besser abgeschnitten als die EU im Durchschnitt. Nach starker Dynamik 2021 wird auch für 2022 hohes Wachstum erwartet. (Stand: 26. Oktober 2021)

    Die ersten Fälle von Infektionen mit SARS-CoV-2 in Ungarn wurden Anfang März 2020 bestätigt. Die Regierung ergriff in der Folge Gegenmaßnahmen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Im Herbst 2021 wurde das Land von der vierten Coronawelle erfasst. Die pandemische Notlage wurde bis Anfang 2022 verlängert, um der Regierung eine Handhabe zu geben, darauf schnell zu reagieren.

    Ungarns Regierung beteuert, dass die Krankenhäuser über genügend Intensivbetten und notwendige medizinische Ausrüstungen verfügen. Fachleute warnen jedoch, dass das Gesundheitssystem durch die Pandemie zunehmend an seine Belastungsgrenzen komme. Es mangele nicht an Medizintechnik. Was fehle, sei geeignetes Fachpersonal, ausreichend Ärzte und Krankenpfleger, so die Einschätzung von Fachleuten.

    Weitere Pandemiewellen könnten konjunkturelle Erholung ausbremsen

    Im 2. Quartal 2020 war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zunächst massiv eingebrochen: um 14 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Im weiteren Jahresverlauf  begann sich die Wirtschaft langsam zu erholen. Im 3. Quartal 2020 wuchs das BIP gegenüber dem Vorquartal um 10,4 Prozent, im 4. Quartal um 1,9 Prozent. Im 1. und 2. Quartal 2021 legte die Wirtschaftsleistung um 1,6 beziehungsweise 2,9 Prozent zu.

    Im 1. Halbjahr 2021 belief sich das reale BIP-Plus gegenüber der gleichen Vorjahresperiode auf 7,6 Prozent. Ungarns Finanzministers Mihály Varga rechnet für 2021 insgesamt mit einem Wachstum von bis zu 7 Prozent. Seinen Optimismus teilt auch der Internationale Währungsfonds (IWF). Ungarn sei auf dem besten Weg, 2021 mit 7,6 Prozent das dritthöchste Wirtschaftswachstum in der Europäischen Union (EU) zu erzielen, heißt es in dessen Oktoberprognose. Die verbesserte epidemiologische Lage, die im europäischen Vergleich hohe Impfquote der Bevölkerung, aber auch die anziehende Konjunktur in der EU lassen auch für 2022 eine günstige Konjunkturentwicklung erwarten.

    Reales Wirtschaftswachstum in Ungarn *)

    Bisheriges BIP-Wachstum

    Winterprognose 2020 (Februar 2020)

    Sommerprognose 2021 (Juli 2021)

    2016

    2,2

    2017

    4,3

    2018

    5,4

    2019

    4,6

    4,9

    2020

    3,2

    -5,0

    2021

    2,8

    6,3

    2022

    5,0

    *) reale Veränderung gegenüber dem Vorjahr in ProzentQuelle: Europäische Kommission 2021

    Landeskenner zeigen sich angesichts der Entwicklung optimistisch. Sobald die Pandemie vorbei sei, werde Ungarn wieder zu gewohnter wirtschaftlicher Dynamik zurückkehren, meinen Experten. Auch an der Bedeutung Deutschlands als wichtigster Investor und Handelspartner Ungarns werde die Krise kaum etwas ändern. Ungarn könnte daraus sogar als Gewinner hervorgehen. Denn die Krise habe die Anfälligkeit von zu weit gespannten und verzweigten Liefer- und Bezugsketten schmerzhaft deutlich gemacht. Hier könnte Ungarn künftig als verlässlicher Partner deutscher Unternehmen "in der Nähe" punkten.

    Ende der Einschränkungen entlastet  Hotels und Gastgewerbe

    Die Einschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie hatten den gesamten Dienstleistungssektor stark zurückgeworfen. Hotels arbeiten seit Herbst 2020 – wenn überhaupt – nur auf Sparflamme, die Gastronomie musste sich zeitweilig komplett auf Lieferdienste und Speisen zum Mitnehmen umstellen.

    Im Frühjahr 2020 hatten die meisten Dienstleistungsbetriebe schließen müssen oder konnten nur mit Einschränkungen weiterarbeiten. Als Folge brach der Einzelhandelsumsatz stark ein. Nach den vorübergehenden Lockerungen zur Jahresmitte 2020 hatte sich der Einzelhandel stabilisiert. Die Umsätze gingen 2020 insgesamt nur um 0,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück.

    Seit Frühjahr 2021 geht es wieder kräftig aufwärts. Im März 2021 nahmen die Einzelhandelsumsätze gegenüber dem Vorjahresmonat um 10,6, im April und Mai um je 5,8 Prozent zu. In den ersten acht Monaten 2021 belief sich der Anstieg auf 2,4 Prozent.

    Gewinner im Dienstleistungssektor sind der Onlinehandel und Firmen, die Lieferservice etwa für die Gastronomie anbieten, zum Beispiel Wolt oder Netpincer. Die Umsätze der Onlinehändler sollen 2020 nach Schätzungen um 39 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen sein. Im 1. Halbjahr 2021 legten diese nochmals um 26 Prozent zu.

    Erholung in der Industrie beginnt

    Die Pandemie ging auch an Ungarns Industrie nicht spurlos vorüber. Die Industrieproduktion schrumpfte 2020 um insgesamt 6 Prozent zum Vorjahr (darunter im April: -38,4 Prozent, Mai: -31,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat). Wichtigste Ursache dafür war die gesunkene Nachfrage im Inland, aber auch aus dem Ausland. Durch den europaweiten Konjunktureinbruch fiel die Nachfrage aus den wichtigsten Exportmärkten der ungarischen Industrie aus.

    Zu den Zweigen mit dem stärksten Umsatzrückgang gehörte 2020 mit -14,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr die Automobilindustrie. Auch die Kunststoff- und Gummiindustrie (-7,3 beziehungsweise 12,2 Prozent), die zum großen Teil von der Nachfrage der Automobilwerke und deren Zulieferfirmen abhängen, gehörten 2020 zu den Verlierern, ebenso wie die Mineralölindustrie (-13,4 Prozent).

    Eine Entspannung der Pandemie in Europa wird auch die Situation der ungarischen Industrie verbessern. Steigende Investitionen und Konsum treiben die Nachfrage nach Industriegütern an. Sobald die Konjunktur in der EU anzieht, wird die Auslandsnachfrage nach Ungarns Industriegütern wieder steigen. Das Budapester Wirtschaftsforschungsinstitut GKI prognostiziert bereits für 2021 ein kräftiges Wachstum der Industrieproduktion von 13 Prozent und für 2022 von 7 Prozent.

    Automobilindustrie spürt Chipmangel

    Von Ausgangsbeschränkungen waren Ungarns Industrieunternehmen kaum betroffen. Zunächst schienen auch gestörte Lieferketten nur für einige wenige Industriezweige und in geringem Umfang Auswirkungen zu haben. Gegen Ende 2020 und im Januar 2021 bekam dann allerdings Ungarns Automobil- und Kfz-Zulieferindustrie Nachschubprobleme zu spüren.

    Der Grund sind Engpässe bei der Versorgung mit Mikrochips und elektronischen Komponenten, die auf fehlende Lieferungen aus Asien zurückzuführen sind. Nach dem Wegfall der Nachfrage aus dem Automobilsektor im Frühjahr 2020 stellten sich die asiatischen Halbleiterhersteller auf andere Abnehmer um, etwa aus der Unterhaltungselektronik- oder Telekommunikationsbranche. Fachleute befürchten, dass die Versorgungsprobleme noch längere Zeit zu spüren sein werden.

    Von Waldemar Lichter | Budapest

  • Konjunktur- und Hilfsprogramme

    Die Folgen der wirtschaftlichen Coronakrise werden abgefedert. Im Fokus standen das Sichern von Arbeitsplätzen und die Unterstützung betroffener Branchen. (Stand: 26. Oktober 2021)

    Die Regierung bemühte sich anfangs vor allem darum, die negativen Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft zu dämpfen. Seit Anfang 2021 rücken immer mehr Maßnahmen in den Vordergrund, die einen schnellen Neustart ermöglichen und begünstigen sollen.

    Mit Beginn der Krise wurden in mehreren Schritten Erleichterungen und Hilfen für Unternehmen, einzelne Branchen und für die Beschäftigten beschlossen. Dazu gehörten zum einen administrative Entlastungen wie etwa Fristverlängerungen auf die Abgabe von Steuererklärungen oder die Lockerung von arbeitsrechtlichen Vorschriften.

    Sicherung der Arbeitsplätze durch Kurzarbeit

    Zu den wichtigsten Maßnahmen gehörte die Einführung der Kurzarbeit, um bestehende Arbeitsplätze zu sichern. Dabei wurden die Gehälter zu 70 Prozent für die Dauer von drei Monaten vom Staat übernommen, wenn die Arbeitnehmer weiter und zu verkürzten Zeiten arbeiten oder sich fortbilden. Für Beschäftigte der Forschung und Entwicklung (F&E) waren Lohnzuschläge von 40 Prozent vorgesehen.

    Dieses Instrument lief Ende 2020 aus und wurde bis Ende März 2021 nur noch für das von den Schließungen hart getroffene Hotel- und Gastgewerbe fortgesetzt. Allein in diesem Sektor wurden bis März 2021 umgerechnet 145 Millionen Euro an Zuschüssen ausgezahlt. Auch die Unterstützung der F&E-Beschäftigten wurde länger fortgeführt.

    Zum 1. Juli 2020 ist ferner der Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungsabgaben von 17,5 auf 15,5 Prozent gesenkt worden. Ab Juli 2022 wird dieser auf 15 Prozent weiter sinken. Weiterbildungsmaßnahmen werden durch die Übernahme von bis zu 95 Prozent der Kosten und durch günstige Kredite staatlich gefördert. Die Arbeitgeber sollen entsprechende Weiterbildungskurse und Umschulungen der Beschäftigten ermöglichen.

    Unterstützung ausgewählter Branchen

    Strategisch wichtige Branchen, die besonders unter der Coronakrise leiden, sollen von Subventionen, Steuersenkungen und vergünstigten Krediten profitieren. Dazu gehören vor allem der Tourismus, die Lebensmittelindustrie und der Agrarsektor, die Kreativwirtschaft sowie das Baugewerbe und der Logistiksektor. Gefördert werden auch Investitionen, die zu einer höheren Eigenversorgung beitragen und die Abhängigkeit des Landes von Importen senken können.

    Im August 2020 wurde ein Sonderkreditfonds in Höhe von umgerechnet 290 Millionen Euro für den Tourismussektor aufgelegt. Damit sollte vor allem angeschlagenen kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) sowie Mikrofirmen mit Darlehen zu Null-Prozent-Zinsen geholfen werden. Weitere Programme fördern Investitionen zur Modernisierung und Erneuerung von Hotels und Pensionen. Investitionsförderprogramme wurden für den Agrarsektor und die Nahrungsmittelindustrie sowie für die Gesundheitsindustrie aufgelegt.

    Tilgungs- und Zinsmoratorium verlängert

    Um die Liquiditätslage von Unternehmen und Verbrauchern zu entspannen, wurde ferner ein Moratorium für Tilgungs- und Zinszahlungen auf Kredite verfügt, die bis zum 18. März 2020 abgeschlossen wurden. Die Regelung sollte zunächst nur bis Ende 2020 gelten, wurde aber mehrfach verlängert. Ferner sind einige arbeitsrechtliche Vorschriften flexibilisiert worden, etwa die Möglichkeit, Heim- und Telearbeit einseitig anzuordnen.

    Die Antikrisenmaßnahmen haben die öffentlichen Haushalte belastet. Ungarns Budgetdefizit soll 2020 nach Schätzungen auf 9 Prozent, der Stand der öffentlichen Verschuldung auf 81 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestiegen sein. Für 2021 hofft das Finanzministerium, das Haushaltsdefizit bei 6,5 Prozent, für 2022 bei 5,9 Prozent des BIP zu halten. Die öffentlichen Schulden sollen dann auf 79,3 Prozent des BIP gedrückt werden.

    Aktionsplan für den Neustart

    Die Regierung plant bereits für die Zeit nach der Pandemie. Für den Aktionsplan zum Neustart der Wirtschaft werden laut Finanzminister Mihaly Varga im Staatshaushalt 2022 umgerechnet 21 Milliarden Euro (7.300 Milliarden Forint) bereitgestellt. Das entspricht etwa 13 Prozent des ungarischen BIP. Der Krankenversicherungs- und Epidemiepräventionsfonds wird mit einem Budget von 3.600 Milliarden Forint ausgestattet.

    Beschlossen wurden ferner steuerliche Erleichterungen für Familien mit Kindern. Jugendliche unter 25 Jahren werden ab dem 1. Januar 2022 von der Zahlung der Einkommensteuer befreit. Geleitet wird der Operativstab der Regierung zum Neustart der Wirtschaft von Péter Szijjártó, Minister für auswärtige Angelegenheiten und Handel.

    Neben den Maßnahmen zur unmittelbaren Bewältigung der Pandemiefolgen setzt die ungarische Regierung ihre langfristig ausgerichteten Programme zur Förderung von Investitionen weiter fort, ausländische Direktinvestitionen eingeschlossen. Einen Überblick dazu bietet die Publikation Investitionsklima Ungarn

    Einzelheiten zur Coronasituation in Ungarn und zu den Maßnahmen der Regierung sind ferner auf der Sonderseite der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer (DUIHK) erhältlich.

    Ungarns Impfplan

    Ungarn lag zu Beginn des Sommers 2021 an zweiter Stelle im Ranking der EU-Länder mit der am stärksten durchgeimpften Bevölkerung - nach Malta. Bis Ende Oktober wurden nach Angaben der Regierung fast 5,7 Millionen Menschen vollständig geimpft. Mehr als 1 Million hat bereits eine dritte Impfung erhalten.


    Ungarn setzt auf eine Diversifizierung bei der Beschaffung von Vakzinen. Ein großer Teil der Impfpräparate, die im Land verfügbar sind, stammen aus China (Sinopharm) und Russland (Sputnik V). Der Rest wurde im Rahmen der Beschaffung durch die EU von BioNTech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca geliefert. Zugelassen wurden auch einige andere Präparate.


    Zusätzlich wird Ungarn über einen eigenen Impfstoff verfügen. Im neu errichteten "Nationalen Impfwerk" in Debrecen soll bereits in der 2. Jahreshälfte 2022 die Produktion eines dort entwickelten Vakzins aufgenommen werden. In dem Werk sollen auch Impfstoffe nach Sinopharm- und möglicherweise auch Sputnik-Technologien gefertigt werden.

    Von Waldemar Lichter | Budapest

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